"PDS und Bürgernähe" - nachlesenswert anläßlich des aktuellen Wahlausgangs in Chemnitz - oder: Für wen soll die PDS Politik machen?

vollständigt veröffentlicht in: UTOPIE kreativ (Dezember 2004)

(ein Auszug /R.H.)

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Auf dem „Kommunalpolitischen Parteitag" der PDS 1996 in Magdeburg wird der Antrag, aktive Kommunalpolitiker bevorzugt zur Diskussion sprechen zu lassen, von den Delegierten mit Mehrheit abgelehnt. Es ist jener Parteitag, auf dem auch unwidersprochen der denkwürdige Satz fällt, dass Kommunalpolitik das Einfallstor der Reaktion sei.

Das Wort Bürgernähe wird von PDS-Politikern allenthalben benutzt, in guter Absicht und mit ehrlicher Überzeugung. Aber was bedeutet es? Ständig „vor Ort" sein? Regelmäßige Sprechstunden im Wahlkreis abhalten? Auf Demos gemeinsam mit den Bürgern protestieren? Gummibärchen und Kondome vor Gymnasien verteilen? Markige Sprüche auf Plakaten, beispielsweise „Es reicht!"? Infostände vor Einkaufscentern, Bürgerversammlungen und Rechtssprechstunden?

Das alles gehört zum politischen Geschäft. Das alles wird getan, und zwar in Sinuskurven, auch bei der PDS. Geringe Aktivität in Zwischenwahlzeiten, große in Wahlzeiten. Aber Bürgernähe ist es nicht. Nicht wirklich.

Dem Bürger nahe sein ...
Ja welchem Bürger eigentlich? Diese Frage wird selten gestellt, meist gehen alle irgendwie davon aus, dass man denselben Bürger meint. Aber auch in der PDS ist Bürger nicht gleich Bürger.

„Meine Öffentlichkeit ist die Linke", hielt mir Hans Modrow in einer Sitzung des Parteivorstandes Anfang 1993 entgegen - einer Krisensitzung wegen meines Treffens mit dem Führer einer rechten Partei. Ich war mit diesem zusammen gekommen, um zu versuchen, den damals gängigen regelmäßigen Schlägereien zwischen linken und rechten Jugendlichen in einem Dresdner Jugendklub ein Ende zu setzen. Nach der Sitzung trat ich von der Funktion der stellvertretenden Bundesvorsitzenden zurück, kam damit der unvermeidlichen Abwahl zuvor.

Bei Modrow's Feststellung fiel es mir damals wie Schuppen von den Augen. Bis zu diesem Moment hatte ich mir nie ernsthaft einen Kopf gemacht, wer Adressat von PDS-Politik ist, es offenbar jedoch ganz unbekümmert völlig anders praktiziert, als es der Ehrenvorsitzende für richtig hielt. In meinen damaligen Aufzeichnungen notierte ich: „Sie kann nichts anfangen mit solchen Bemerkungen, wie mit denen von Modrow, seine Öffentlichkeit sei die Linke. Ihre Öffentlichkeit sind die Bürger, schon immer, und sie hat sich in ihrer Politik in Dresden immer bemüht, auf die Bürger zu setzen und nicht auf die Minderheit der Linken und sie weiß, daß sie gerade deshalb erfolgreich war. Und irgendwie spürt sie, daß sie grundsätzlich anders an Politik herangeht, als die meisten der anwesenden Vorstandsmitglieder."

1993 liegt sehr weit zurück, aber diese grundsätzliche Differenz, die mir damals zum ersten Mal so blitzartig klar wurde, begleitete mich in meiner gesamten politischen Laufbahn und begegnet mir bis heute. Sie hat sich gar weiter zugespitzt.

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Als wohnungspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, die sich angesichts des horrenden Wohnungsleerstandes für den Erhalt der ostdeutschen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen engagierte, wurde mir ganz ähnlich mehr als einmal der Vorwurf gemacht, dass die PDS Politik für Mieter mache, nicht für Vermieter. Öffentlich für persönliches Wohneigentum und kleine Hauseigentümer einzutreten ist innerparteilich sowieso bis heute eine kitzlige Angelegenheit - selbst unter PDS-Mandatsträgern, die sich, begünstigt durch ihre finanziell gute Lage, längst ein eigenes Häuschen geleistet haben. Nicht selten musste ich bangen, ob entsprechende, von mir erarbeitete Anträge und Gesetzentwürfe, bereits in der Fraktion die erforderliche Mehrheit erhielten.

Doch hinter der Frage, welchen Bürger man „zu vertreten" meint, versteckt sich in der Konsequenz, welche Sicht man auf Politik und Gesellschaft hat, verbirgt sich letztlich wie nah man dem Bürger wirklich ist.

Versteht man sich ausschließlich als Interessenvertreter einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, kann man im Grunde ungerührt all das zum politischen Ziel erklären, von dem man meint, dass es im Interesse dieser Gruppe liegt. Dass man damit bei den Adressaten gut ankommt, scheint sicher. Aber - und das ist das eigentliche Problem - mögliche negative Folgen einer denkbaren Realisierung solcher Ziele glaubt man, nicht bedenken zu müssen.

Ein aktuelles, besonders prägnantes Beispiel dafür befindet sich im Mieter-ABC, herausgegeben vom Parteivorstand im Wahlkampf 2004. Dort ist mit Blick auf das Überangebot an Wohnungen in Ostdeutschland zu lesen: „Statt nun die Mietpreise zu senken, um unterversorgten Familien und Wohnungslosen eine Chance auf Verbesserung ihrer Wohnsituation ermöglichen zu können, setzen sie (die Vermieter, C.O.) vor allem auf Marktbereinigung durch Abriss."

Die Autoren des Papiers benutzen hier die Gruppe der „unterversorgten Familien und Wohnungslosen" - ein momentan vergleichsweise winziger Teil der Bürger - um Mietpreissenkungen zu propagieren und sich gegen Wohnungsabriss zur Wehr zu setzen. Da kommt Freude auf, man darf sich im Wohlwollen der Adressaten sonnen, denn niemand wird gegen Mietsenkungen protestieren, auch niemand aus der Gruppe der finanziell besser gestellten.

Aber die gesellschaftlichen Folgen einer solchen Politik wären verheerend: den Wohnungsunternehmen würde der Konkurs drohen, kommunales und genossenschaftliches Eigentum würde den Bach runter gehen, während sich Kapitaleigentümer - und diesmal „richtige" - gegen einen bescheidenen Obolus im ostdeutschen Wohnungsmarkt breit machen und anschließend mit Dumpingmieten auch noch den Rest der Wohnungswirtschaft zugrunde richten würden. Den „unterversorgten Familien und Wohnungslosen" und darüber hinaus der gesamten ostdeutschen Mieterschaft hätte man damit den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen; man hätte gegen ihre Interessen gehandelt. Und so entpuppt sich obiges Zitat, das auf den ersten Blick wahnsinnig bürgernah klingt, als das ganze Gegenteil. Nämlich bürgerfern. Und es ist Populismus pur.

Natürlich ist es legitim, nur bestimmten Bürgern „nahe zu sein", nur Teilinteressen zu artikulieren. Schadlos vor allem, solange man in Opposition ist. Unter Umständen kann diese Politiksicht sogar richtig sein. Obwohl es schon vorgekommen sein soll, dass man sich in Zeiten der Opposition nur unzulänglich auf das Tragen der Verantwortung für einen Gesamtorganismus vorbereitet hatte und vom plötzlichen Regieren-Müssen überrascht wurde.

Teilinteressen zu vertreten ist nicht meine Sicht. Auch und gerade eine linke Partei muss, wenn sie bürgernah sein will, den Gesamtorganismus Gesellschaft und damit alle Bürger und deren vielfältige, zum Teil divergierende Interessen im Blick haben. So schwierig das auch sein mag.

Denn es hat immer Folgen, wenn man in so komplexe Gebilde eingreift, wie es moderne Gesellschaften sind. Ein in bester Absicht verfolgtes Ziel kann sich in sein Gegenteil verkehren und damit gegen große Teile der Bevölkerung richten. Dass die Gefahr ungewollter Wirkung besonders groß ist, wenn man sich in der Politik von partiellen Interessen leiten lässt, steht für mich außer Frage. Schließlich und endlich kann man, will man Demokrat sein und bleiben, Politik nicht gegen Mehrheiten durchsetzen. Letztere Sicht ist nur ein anderer Ausdruck für Bürgernähe.

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In meiner Amtszeit als Stadtvorsitzende gehörte ich zu den Initiatoren von immerhin vier Bürgerbegehren. Als prominente Gegnerin der stadtschneidenden Trasse der Autobahn 17 kämpfte ich mit der Dresdner PDS, anlässlich eines Bürgerbegehrens der CDU für diese Trasse, engagiert dafür, eine Mehrheit der Bürger für unsere Position, also gegen die Trasse zu gewinnen. Zwei der von uns initiierten Bürgerbegehren haben wir zum Erfolg geführt, den Bürgerentscheid zur Autobahn gewann die CDU.

Das mag enttäuschend sein. Doch kein noch so hehres Ziel rechtfertigt es, sich für dessen Durchsetzung im Zweifelsfall auf parlamentarische Mehrheiten zurückzuziehen, in der Annahme, besser zu wissen, was gut für den Bürger ist. Auch Linke sind nicht unfehlbar.

Objektives Handicap
Dem Bürger kommt man, genau genommen, dann am nächsten, wenn man in ähnlicher Lage lebt wie dieser, wenn folglich die soziale Zusammensetzung der Partei annähernd dem Querschnitt der Bevölkerung entspricht. Dass das bei der PDS nicht so ist, scheint eine Binsenwahrheit. Doch es schadet nichts, sich die Fakten immer wieder bewusst zu machen.
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Wie die Vergangenheit zeigt, gelang es trotz guter Absichten und enormer Anstrengungen nicht, die soziale und altersmäßige Zusammensetzung der PDS nachhaltig zum Positiven zu verändern. Auch Gabi Zimmers Mahnung auf dem Cottbusser Parteitag 2000 - und diese ließ es an Deutlichkeit nicht fehlen - blieb diesbezüglich folgenlos: „Wir brauchen Vertreter aller Generationen in unseren Reihen - und nicht nur, weil wir sonst auszusterben drohen. … Wir brauchen vor allem die Vertreter der mittleren Generation, die der 35- bis 51- Jährigen: Sie wissen, wie die Uhren hierzulande ticken. Ihr Wissen, ihre Fähigkeiten fehlen der Partei besonders."

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Rolle der Politiker
Umso wichtiger ist die Rolle der PDS-Politiker. Sie haben in der Partei naturgemäß die Meinungsführerschaft, tragen besondere Verantwortung für Bürgernähe. Doch gerade sie laufen auch besondere Gefahr, sich vom Bürger zu entfernen und sich vom Leben abzuheben, ohne dass sie dies beabsichtigen. Denn auch sie sind den größten Teil ihres politischen und parlamentarischen Alltags unter sich, auch ihre Kommunikation ist weitgehend geschlossen, selbst wenn sie dies heftig abstreiten.

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Eine Reihe Politiker sind mittlerweile ohne Unterbrechung 14 Jahre lang Abgeordnete in Landtagen und werden es, zum Beispiel in Sachsen, noch für weitere fünf Jahre sein. Einen regelrechten Lebensabschnitt haben sie damit in der verantwortungsvollen, aber sozial gut gesicherten und gesellschaftlich anerkannten Position des Parlamentariers zugebracht, quasi die gesamte Umbruchzeit seit der Wende, mit ihren sozialen und strukturellen Verwerfungen, denen sich Millionen nicht so leicht entziehen konnten. Für nicht wenige von ihnen ist es mittlerweile der letzte große Lebensabschnitt vor dem Renteneintritt.

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Das Problem, „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen" ist so allerdings auch nicht zu lösen, das sei zugestanden.

Allerdings haben die PDS-Politiker der „ersten Generation" einen großen Vorzug, auch wenn sie ihre Tätigkeit als Abgeordnete bis heute ununterbrochen ausüben. Sie, die zu Wendezeiten um die 40 waren, hatten bereits ein gerüttelt Maß Lebenserfahrung, waren im Leben verwurzelt, wenn auch in einer anderen Gesellschaft. Sie hatten eine qualifizierte Ausbildung, waren an verantwortlicher Stelle tätig, hatten Familie, Kinder geboren und groß gezogen. Sie wussten, was es heißt, reale Verantwortung zu tragen - von Anfang bis Ende. Eine Sache nicht nur zu beginnen, sondern sie auch zu Ende zu führen, unter Umständen, die anders und zum Teil komplizierter waren als sie es heute sind. Das hat sie und ihre Charaktereigenschaften geprägt.

Dieser Lebenserfahrung der ersten Politikergeneration der PDS ist das Überleben und nachfolgende Etablieren der PDS maßgeblich geschuldet. Mögen Begriffe wie „Pflichtbewusstsein" und „Arbeitsdisziplin" vielen, insbesondere jüngeren suspekt sein: ich nenne sie ganz bewusst und plädiere für ihre Renaissance. Denn Politik ist Arbeit, harte Arbeit.

Die neue Politikergeneration
Mittlerweile ist auch die Nachwende-Politiker-Generation der PDS auf dem Weg zum Berufspolitiker. Zur Wende jugendlich oder fast noch Kind stürzt man sich heute zum Teil bereits in die nächste oder übernächste Wahlperiode. Man hat also seinen ersten großen Lebensabschnitt nach dem Kindesalter, bevor man richtig ins Leben gerochen hat, sofort als Politiker begonnen. Und man hat diesen Abschnitt in der Regel nicht begonnen, um ihn so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Denn auch in der PDS gilt: Einmal Politiker, immer Politiker.

Zur PDS, bzw. in ihr Umfeld oder ihre „Vorfeldvereinigungen", kamen diese jungen Leute im Allgemeinen nach ihrer Schulausbildung, meist vor dem Abschluss eines Berufs oder Studiums, selten danach. Sie erhielten teilweise (gering) bezahlte Arbeitsplätze, z.B. in Wahlkreisbüros, Vereinen, etc. Ihr Lebensmittelpunkt in der Zeit vor ihrer Wahl in Ämter und Mandate war nach Elternhaus, Freundeskreis und Schule ausschließlich die PDS und ihr Umfeld. Dieser Alltag setzt sich nach der Übernahme von Mandaten und Funktionen nahtlos fort.

Bei dieser Generation der jungen und jüngeren PDS-Politiker, die z.B. auch in Sachsen bereits wichtige Funktionen und Mandate innehaben, ist mir erst in letzter Zeit so richtig klar geworden, dass ihnen gerade diese oben genannte Lebenserfahrung fehlt - aus meiner Sicht die unentbehrliche Grundlage für wirkliche Bürgernähe. Natürlich ist nicht ihnen das vorzuhalten, sie fehlt ihnen altersbedingt. Zu kritisieren ist jedoch, dass ihr Umfeld es ihnen so leicht macht, den scheinbar erfolgversprechendsten, den bequemsten Weg einzuschlagen - ohne Berücksichtigung negativer Folgen. Im Nacken die ungünstige Altersstruktur der Mitgliedschaft mit ihren unausweichlichen Konsequenzen. „Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten's besser aus!" heißt das unausgesprochene Motto.
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Wenn eine 17-jährige Abiturientin für einen aussichtsreichen Listenplatz nominiert wird und mit 18 gesichert in den Landtag einzieht, steht das als besonders prägnantes Exempel für eine Personalpolitik, die ich jedoch auch aus der Sicht von Bürgernähe für verfehlt halte. Da ist es vorerst zweitrangig, dass es bei ihrer und der Nominierung anderer Jugendlicher formell „korrekt" (das heißt satzungskonform) zuging: Der Landesjugendtag der „PDS-Jugend Sachsen" ist laut Satzung Gliederung des Landesverbandes und hat Vorschlagsrecht.

Das eigentliche Kernproblem ist, dass sich von den rund 300 Jugendlichen der sächsischen PDS unter 30 nur knapp über 40 an dieser Veranstaltung beteiligten und ihr Votum abgaben. Eigentlich darf man es gar nicht zu Ende denken, denn letztlich hatten damit gerade einmal zwei Promille der Mitgliedschaft der sächsischen PDS den Einfluss, neun Bewerber auf den umstrittenen ersten 40 Plätzen der Landesliste unterzubringen und für fünf von ihnen je eines der insgesamt schwer errungenen einunddreißig Landtagsmandate zu sichern. Wenn schon die gesamte PDS in ihrer sozialen Struktur fernab vom Querschnitt der Bevölkerung liegt, trifft dies auf diesen winzigen Teil der Partei - wenn auch auf völlig andere Weise - erst recht zu.
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Die Sprache
Schließlich hat auch Sprache - in der PDS vernachlässigt, trotz modern gewordener Trainingskurse - mit Bürgernähe zu tun; ja vielleicht beginnt Bürgernähe gerade dort zuallererst.

Bärbel Romanowski, schärfte mir wie allen anderen Bundestagsabgeordneten vor unseren Reden stets ein: „Die Oma am Fernseher muss Euch verstehen, niemand sonst. Ihr redet für sie, nicht für die Politiker im Plenarsaal." Sie hatte recht. Dem Volk mehr auf's Maul zu schauen, wäre unseren Politikern jedenfalls dringend zu empfehlen, und vorbeugend füge ich umgehend hinzu, dass dieser Luther'sche Spruch nichts damit zu tun hat, dem Volk nach dem Munde zu reden.

„Die Gesamtsituation ist unrockbar - wir bringen die Verhältnisse zum Tanzen", steht als Überschrift über dem bereits erwähnten Jugendwahlprogramm der sächsischen PDS. Wie viele Bürger werden das verstehen, geschweige so sprechen?

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Und schließlich kennt jeder das alltägliches Bild aus PDS-Veranstaltungen zur Genüge und seit Jahren: Der Redner ruft: „Gerade jetzt wird die PDS als konsequent sozialistische Partei links von der SPD gebraucht!", das Auditorium spendet begeistert Beifall. Keiner der Anwesenden hebt die Hand und fragt: „Was, Genosse Politiker, meinst Du mit „konsequent sozialistisch", und was bedeutet 'links von der SPD'?" Welch ein Glück, dass in solchen Veranstaltungen der Bürger in der Regel gar nicht erst nicht anwesend ist.

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Sprache und Denken bilden eine Einheit. Wer vom Bürger her denkt, vermeidet Partei-, Polit- und Klienteljargon und weiß sich verständlich, überzeugend und menschlich auszudrücken. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Begrifflichkeit unserer Sprache uns die falschen Fragen stellen lässt und demzufolge auch die Antworten falsch ausfallen.

Mir ist so, als hätten sich - bis ein, zwei Jahre nach der Wende - die Papiere noch anders gelesen, die Reden noch anders angehört. Ich glaube, beobachtet zu haben, dass die damalige gesellschaftliche Ablehnung der PDS deren Repräsentanten zur Selbstkontrolle zwang, zu Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt im Gebrauch der Sprache. Dass man sich damals sehr in Acht nahm, die Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen mit einer Sprache, die in Schwulst und Bombast an die SED erinnerte. Diese Periode ist lange vorbei und damit, so mutet es an, auch die Selbstdisziplin im Sprachgebrauch.

Heute scheint es wieder auszureichen, zu versichern, dass der „Kampf gegen Sozialabbau" in „enger Verbindung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit" unerlässlich sei, man endlich „Inhalte" brauche und man sich „Konzepten" zuwenden müsse, um den „Reichtum von oben nach unten zu verteilen", am besten in einem „breiten linken Bündnis".
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Sprache ist verräterisch. Gott sei Dank.

von Christine Ostrowski (gekürzt)

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