Einige Blicke auf den 8. Mai in Coswig
von Reinhard Heinrich
(S. auch DIE LINKE.Coswig - gemeinsame Stellungnahme der Fraktion und des Ortsvorstands!)
Rückblick
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Berlin: Das Foto war
gestellt - die
Befreiung echt. |
Ein langes Gedächtnis ist vielen Menschen (das trifft die Mehrheit der Wähler wie auch der Politiker) anscheinend versagt. Sei es "der Schöpfer" (für religiöse Menschen), seien es "die Umstände" (für die weniger religiösen Leser von Fr. Engels), wie auch immer - es ist eine Tatsache. Das haben unsere Vorfahren frühzeitig erkannt und dafür Gedenktage eingeführt. Und um die Gedächtnisleistungen unserer Leser nicht zu überstrapazieren, beschränken wir uns in diesem Artikel auf die jüngere Vergangenheit. Kein Wort also über 1945! Darüber ist schon alles geschrieben - nur noch nicht von allen.
Einige Gedenktage bewahren wichtige Ereignisse vor dem Vergessen - wie zum Beispiel der Reformationstag, mit dem auch Nichtchristen gern die Erinnerung an den grossen Beweger Martin Luther pflegen. Denn
Bewegung ist dialektisch Gebildeten viel wert.
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Weizsäcker und Herzog als Vor-(Ge)denker
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Berlin: Einsichten 1946 |
Eine Bewegung war auch der Sieg der Alliierten über den Hitlerfaschismus. Je nach Orientierung mögen sie einige als Rückwärtsbewegung sehen, extreme Rechte sowieso. Wir aber orientieren uns gern an den Worten unseres ehemaligen Bundespräsidenten
Roman Herzog (CDU), der 1995 in seiner Rede beim Staatsakt zum 50. Jahrestag der Befreiung unter anderem sagte:
"Deutschland hatte den furchtbarsten Krieg entfesselt, den es bis dahin gegeben hatte, und es erlebte nun die furchtbarste Niederlage, die man sich vorstellen konnte."
Zehn Jahre zuvor hatte bereits 1985
Richard von Weizsäcker als deutsches Staatsoberhaupt in seiner vielbeachteten Rede im Plenarsaal des Bundestages mit seiner Formulierung
"Befreiung vom Nationalsozialismus" eine
Kernaussage unserer
nationalen Erinnerungskultur geprägt.
Coswig und das Gedenken
Es steht daher füglich keinem Deutschen - also auch keinem Coswiger - zu, sich 2013 über die Behandlung Deutscher 1945 (auch schlechte, sogar gelegentlich unmenschliche) durch die Sieger auch nur im Geringsten zu beschweren -
auch wenn das bisweilen geschieht. Diese Kapitulation war bedingungslos und sie war (mehrmals!) zu vermeiden gewesen. Hitler war 1933 mittels Wahlen an die Macht gekommen und alle seine Absichten und Ziele hatte er zuvor in "Mein Kampf" offen ausgesprochen*). Dass aber auch die KPD offen und eindringlich im Wahlkampf vor Hitlers Absichten gewarnt hatte, lassen wir mal beiseite. Nach über 60 Jahren Bildungs- und Aufklärungsmöglichkeiten über (reale!) Kriegsgreuel - auch in Coswig - sich vordergründig zu beklagen heisst dann offensichtlich, den 2. Weltkrieg, insbesondere seine Ursachen und Folgen einfach
nicht verstehen zu wollen.
Traditionspflege von politischer Reife
Coswig hat 2005 zum 60. Jahrestag der Befreiung und 10 Jahre nach Bundespräsident Herzogs Rede öffentlich gezeigt, dass diese Ursachen und Folgen hier im Gedächtnis bewahrt werden. Eine eindrucksvolle Feierstunde im Gymnasium führte Vertreter aller demokratischen Fraktionen unseres Stadtrates, Vertreter von Vereinen und Organisationen, interessierte Bürger sowie Schüler und Lehrer zusammen, um den Gedenktag würdig zu begehen. Ein Posaunenchor spielte angemessen feierlich. Erinnernde und mahnende Ansprachen wurden gehalten. Ein Chor von Coswiger Spätaussiedlerinnen aus Russland sorgte mit schwermütigen Weisen für den passenden Hauch "grosse russische Seele" - zum Gedenken an die allein durch deutsche Schuld gefallenen Sowjetsoldaten. Und "ausgerechnet" Pfarrer Schuster (ev. Gemeinde Coswig) rezitierte ein Gedicht des Antifaschisten Johannes R. Becher, der sich auch als Kommunist sah. So wurde unleugbar deutlich, dass die Rote Armee hier ganz Coswig befreit hatte - und nicht nur ein paar "unbedeutende" Nazigegner. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Und natürlich sass unser damaliger OB Reichenbach (CDU) in der ersten Reihe. Im Gymnasium gab es über mehrere Etagen eine Ausstellung und interessante Info-Stände zur Geschichte. Mit dieser politische Reife beging Coswig den 60. Jahrestag der Befreiung 2005.
Ausblick
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Coswig 2013, die "Umgestaltung"
des Gedenksteins zeigt den
geschichtsvergessenen
Geist mancher Zeitgenossen. |
Wir dürfen hoffen, dass zum 70. Jahrestag der Befreiung in 2 Jahren, am 8. Mai 2015 (einem Freitag!) diese Coswiger Tradition ihre würdige Fortsetzung findet. Vielleicht sogar mit einem Blumengebinde der Stadt Coswig am Gedenkstein - inmitten einer wohlgepflegten Parkanlage ... Und wenigstens zwei oder drei kleinen Ansprachen seitens der dann im Coswiger Stadtrat jeweils stärksten Fraktionen. Das wäre auch eine kleine Verbeugung vor Richard von Weizsäcker und Roman Herzog. Dass ein Pfarrer Gedichte von Becher aufsagt, ist auch denkbar - aber Herr Schuster ist dann wohl leider im Ruhestand. Doch mit Gottes Hilfe wird Coswig wohl traditionsgemäss auch dann wieder einen gebildeten Demokraten auf der Kanzel haben. Da bin ich mir beinahe sicher. Beim Pressesprecher manch einer Partei allerdings nicht.
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Coswig 2013 - mitgebrachte Blumen
sprechen eine deutliche Sprache |
PS: Lange vor diesem Text, am 22. Mai, hat sich auch der junge Coswiger Stadtrat Innocent Töpper gemeinsam mit Anne Kämmerer (beide Bündnis90/Die Grünen) in gleichem Sinne hier geäussert. Das bestätigt unseren optimistischen Ausblick ein wenig.
PPS: Seit dem 26.05.2013, 11:05 Uhr gibt es auf der Homepage der CDU Coswig eine wohl beschwichtigend gemeinte "Erklärung" als
Nachtrag zur Veröffentlichung vom 2. Mai 2013. Offensichtlich eine Reaktion auf andere Proteste, denn unsere "Würdigung" war zu dem Zeitpunkt noch nicht erschienen. Gut, dass wir nicht allein so kritisch hinschauen!
Wie gut, dass der Ruf unserer Stadt nicht allein von der CDU bestimmt wird.
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*) Wird von Victor Klemperer in LTI versichert. Das Buch "Mein Kampf" ist bekanntlich in Deutschland nicht öffentlich verfügbar.